Allzweckwaffe

brachiale Leistung,
bestes Gesamtpaket,
Schotterwandern fähig
wahrscheinlich nie auf Schotter,
besser 21 statt 23 Zoll (Schotter),
kann immer noch mehr…
Preis: € 121.210,-, Sonderausstattung: € 23.855,- (exkl. Steuern), Gesamtwert des Testfahrzeuges: € 158.570,75
Sicherheit: Airbag für Fahrer und Beifahrer, Sidebags für Fahrer und Beifahrer (kombinierter Thorax/Pelvisbag), Windowbags links/rechts, Kneebag für Fahrer, Sidebags im Fond, 3-Punkt-Automatik gurte auf allen Plätzen,
Verbrauch/Drittelmix*: 10,7 l,
Beschleunigung 0-100 km/h*: 3,8 sec.,
Vmax: 280 km/h,
Motor: 8-Zylinder in V90°, Leichtmetall-Zylinderkopf und- block, 4Ventile/Zylinder, DOHC, Kette, VVT, direkte Einspritzung, 2 Turbolader, Ladeluftkühler,
Hubraum: 3.982 cm3,
max. Leistung: 510 PS/375 kW bei 5.500-6.250/min-1,
max. Drehmoment: 700 Nm. bei 1.750-4.500/min-1,
Verdichtung: 10,5:1,
Treibstoff: 95 ROZ,
Kraftübertragung: 9-Stufen-Automatik, Allradantrieb, ESP,
Radaufhängung: v-McPherson-Federbeine, Dreieckquerlenker, h-Mehrlenkerachse, v/h-Schraubenfedern, Stabilisator, elektronisches Dämpfersystem,
Bremsen: Scheiben, belüftet, ABS,
Bereifung: 295/35 R21,
Gewicht: 1.935 kg,
L/B/H: 4.650/1.890/1.640 mm,
Radstand: 2.870 mm,
Tankinhalt: 66 l,
* Werksangaben
Mercedes-Benz adelt Schotterwandern. Während zur selben Zeit bestes 4×4-Gerät rumsteht und bestaunt werden darf, wird am Schneeberg und der Hohen Wand bewegt. Ordentlich bewegt im Sinne der Nutzer solcher Fahrzeuge, aber auch im Sinne etwaiger Kauf-Überlegungen aufzeigend, zu was man in so einen SUV imstande ist. Auch wenn man´s später eh nicht macht, ja sogar verweigert.
Ein halbes Jahr ist ins Land gezogen, seit Mercedes die stärkste Ausbaustufe seines Kompakt-SUV GLC auf der Auto Show in New York enthüllt hat: den AMG 63. Jetzt endlich gab der Krawall-Hochbeiner sein Debüt bei uns am Schotter – und kündete schon von weitem sein Kommen lautstark an. Wer das selbst hören will, sollte zuvor allerdings einen Bankberater konsultieren: Für unter 121.210,- Euro ist das ab sofort erhältliche Vergnügen plus einiges an Sonderausstattung nicht zu bekommen.
Anders als manch aufgemotzter PS-Protz anderer Hersteller, stehen die AMG-Boliden eigentlich für eine äußerst breite Spreizung: Hardcore-Sportler auf der einen Seite, noch relativ kommoder Alltagsbegleiter auf der anderen. Denken wir nur an eine AMG-E-Klasse: Bedenkenlos kann man damit vor der Oper vorfahren, oder die Oma zum Arzt kutschieren, ohne dass der gleich noch Bandscheiben, Hörapparat, oder Nervenkostüm mitbehandeln muss. Gleichzeitig aber läuft die Limousine im Sportmodus zu Hochtouren auf und vollzieht die vielzitierte Verwandlung von Dr. Jekyll zu Mr. Hyde.
Im Falle des AMG GLC 63 fällt dieser Wandel allerdings nicht ganz so deutlich aus. Das Adjektiv „unbequem“ wäre vielleicht etwas übertrieben, aber von sanftem Dahingleiten kann trotz serienmäßiger Luftfederung nur dann die Rede sein, wenn man von 23zöllern und Niederquerschnitt absieht. Ansonst werden Querfugen, Straßenbahnschienen und anderes Unbill deutlich nach innen durchgereicht. Und auch Lenkung und Gasannahme sind selbst im C-Modus (C = Comfort) merklich schärfer, als bei den normalen GLC-Modellen. Umso erstaunlicher, dass sich das alles noch in bis zu drei Stufen steigern lässt: Sport, Sport+ und beim S-Modell steht sogar noch ein Race-Modus zur Wahl und mit jedem Drücken der Fahrprogrammtaste wird der GLC noch einen Tick härter, verbindlicher – und lauter. Letzteres gilt vor allem in Verbindung mit den zwei zusätzlichen Klappen in der AMG-Performance-Abgasanlage, die in den Sportmodi, oder per Tastendruck aufgehen und den Sound nochmal deutlich intensivieren. Was zwar der schöne (Asphalt)-Nebeneffekt ist, aber am Hochschneeberg und dessen wunderbaren Schotterwegen, wenig bis gar nicht zählt. Oder – will da jemand die Hirsche aufwecken? Die Rehe beim Äsen stören? Sanft Abrollen ist die Devise, mit angehobener Karosse, sanft gleitend und das nicht vermeidbare Geräusch kommt vom Knirschen der Reifen, wenn sie über die Steine rollen.
Trotzdem: Klang- und Kraftquelle ist auch im GLC 63 der bekannte, doppelt aufgeladene Vierliter-Achtzylinder, der als S-Variante 510 PS/375 kW mobilisiert sowie 700 Newtonmeter Drehmoment eindrucksvoll gegen Reib- und Luftwiderstand antritt. Ob es die natürlich teurere S-Version braucht mag jeder für sich selbst entscheiden. Vielleicht am Stammtisch, aus Dynamik-Gründen sicher nicht. Aber wer nach den „Wenn schon/denn schon“-Prinzip lebt, wird ihn sich sicherlich in die Garage stellen.
Schon der normale 63er schnellt in vier Sekunden auf Tempo 100, nur zwei Zehntel schneller schafft es der S. Die Vmax dagegen ist bei beiden gleich und natürlich elektronisch begrenzt: Ab Werk ist bei 250 km/h Schluss, gegen Aufpreis sind nochmal 30 Sachen mehr drin. Immerhin: Auch der Spritverbrauch ist mit 10,7 Litern bei beiden Versionen identisch – und in der Praxis hier wie da nicht wirklich realisierbar. Selbst dann, wenn man regelmäßig im Komfort-Modus die Segelfunktion nutzt, die den Motor zwischen 60 und 160 km/h vom Antriebsstrang abkoppelt, so genug Schwung vorhanden ist.
Viel zu sehr aber animiert der 63er immer wieder, das rechte Pedal heftig zu Kuscheln: Man will dieses tiefe, kraftvolle Brummen hören, nachdrücklich in den engen Sportsitz gepresst werden und das Kribbeln im Magen fühlen, wenn die Neunstufen-Automatik – im Komfortmodus nach einer kurzen Gedenkzehntelsekunde – runterschaltet, das Aggregat neckisch frotzelt und die gesamte turbo-befeuerte Kraft über alle vier Räder herfällt. Allrad ist natürlich bei einem Sport-SUV Serie und zusammen mit einem Hinterachse-Sperrdifferenzial – elektrisch beim S-Modell – sorgt die Technik selbst jetzt im Herbst dafür, dass nahezu die gesamte Power auf die rutschig-nassen Straßen gebracht wird. Auf Schotter ist dieses Szenario dann doch ein Anderes. Obwohl mehr als kraftvoll, setzt der Treiber vorne die PS sehr zahm ein, die Berganfahrt kann aus noch so rolligen Steinen bestehen – es wird kaum einen rutschenden, eingrabenden, oder gar hilflosen GLC AMG geben, Souveränität heißt da das technische Zauberwort und dies ist in allen Belangen gegeben.
Neben den erwähnten, serienmäßigen Sportsitzen wartet der GLC 63 übrigens mit weiteren, teils aufpreispflichtigen AMG-Insignien auf: griffiges Nappa-Leder-Lenkrad, eine spezielle Performance-Ansicht für das Head-up-Display und vor allem reichlich Carbon-Dekor sorgen für sportlichen Anstrich im Interieur. Von außen fallen vor allem die großzügig dimensionierten Lufteinlässe in der Frontschürze, die breiten Kotflügel und der Panamericana-Kühlergrill auf, der mit seinen Längsstreben nicht nur ein herrlicher Blickfang ist, sondern auch die Brücke zu AMGs Supersportler schlechthin baut: dem GT. Aus dem stammt schließlich auch der Motor.
AMG hat mit bewährten Mitteln aus dem Midsize-SUV einen kräftigen Sportler gemacht, der sich abgesehen von der Fahrwerksauslegung nicht vor seinen AMG-Brüdern und erstrecht nicht vor der Konkurrenz verstecken muss.
Dass das doch etwas heftigere Strasserl (ausgewaschene Steine bei ordentlich Steigung) von der Scheib´nhitten hinunter nach Grünbach am Schneeberg nicht sein täglich Weg ist, sollte wohl klar sein, dass aber dieser GLC AMG derlei Anforderungen annimmt und quasi aus dem Handgelenk erledigt, allerding auch.