Neuer Fixstern? Wenn der GT-Sport ruft

DATEN:
Preis: € 198.850,-
Motor: 8-Zylinder in V90°, Leichtmetall-Zylinderköpfe und- block, 4Ventile/Zylinder, 2×2 DOHC, Kette/VVT, 2 Turbolader parallel, Intercooler,
Hubraum: 3.982 cm³
max. Leistung: bis 510 PS/375 kW je nach BoP,
max. Drehmoment: bis 600 Nm je nach BoP,
Getriebe: 6-Gang Renngetriebe, sequentiell,
Elektronik: Motorsportelektronik inkl. einstellbarem ABS und einstellbarer AMG Traction Control,
Räder: 11×18″ geschmiedet,
Reifen: VA 305/660 – 18, HA 305/680 – 18
Gewicht: < 1.390 kg je nach BoP
Tankvolumen: 120 Liter, Motorsport Sicherheitstank,
Beschleunigung: unter vier Sekunden je nach BoP,
Vmax: über 250 km/h je nach Bop
Jahrelang hat die GT4 Klasse vor sich hingedümpelt, bis sich Porsche mit der GT4-Version des Cayman zur Einstiegsklasse im GT Sport bekannte. Das war offensichtlich der Weckruf für die anderen Großen, denn nach Audi und BMW gibt es nun auch vom AMG GT, eine GT4 Version.
Im portugiesischen Portimao durften wir den brandneuen Kundensportler aus dem Hause Mercedes-Benz ausprobieren und im Vergleich zum Porsche Cayman, den wir schon 2016 einem Track-Test unterzogen haben (siehe MSI 4/16) sind die Leute von HWA, die für das Programm verantwortlich zeichnen, die Sache viel kompromissloser angegangen. Schon von außen ist der MB AMG GT4 einem Rennwagen viel näher, als der Straßenversion, obwohl auch das Basismodell AMG GT R schon ein reinrassiger Straßensportler ist. Und das half natürlich bei der Ableitung der GT4-Version, die ja doch noch eine Seriennähe aufweisen muss. Ansonsten stand aber vor allem die GT3-Version des MB AMG GT Pate für das Einsteiger-Modell.
Apropos einsteigen, nehmen wir also Platz im Cockpit. Hier ist vom ersten Moment an klar, dass es sich um einen echten Rennboliden handelt. Die Serienteile, inklusive Armaturenbrett sind weg, stattdessen regiert Blech und Karbon. Der Fahrer nimmt in der Sicherheitszelle Platz, die mit Carbon verstärkt wurde. Die nur aus höheren Klassen bekannte Bergeluke am Dach signalisiert den hohen Sicherheitsstandard der angelegt wurde. Die Verstrebungen des Überrollkäfigs sind dabei so angeordnet, dass ein Ein- und Aussteigen auch für große Personen problemlos zu bewältigen ist. Die Sitzschale ist festmontiert – ein weiterer Sicherheitsfaktor, der aus dem GT3 übernommen wurde und die Anpassung an den Fahrer erfolgt durch die verstellbare Pedalbox und eben das Lenkrad, dessen Säule in Höhe und Distanz verstellbar ist. Beim Lenkrad selbst steht Funktionalität im Vordergrund. Die wichtigsten Knöpfe – wie jene für Starter, Blinker, Funk, Licht und Lichthupe, Pit-Limiter, Scheibenwischer und Trinksystem – sind am Carbonträger untergebracht. Dank des Formel-1-Lenkrades besteht uneingeschränkte Sicht auf das Display von Bosch, das je nach Menü-Seite die wichtigsten Daten des Fahrzeuges bereithält. Rechts vom Fahrer dominiert die breite Mittelkonsole aus Carbon, die die Hauptschalter, den Schalter für die Benzinpumpe, den Retourgang, sowie die Regler für ABS und Traktionskontrolle beinhaltet. Analog zum GT3 verfügt der GT4 über elektronische Fahrhilfen, die individuell vom Fahrer in zwölf Stufen verstellt werden können. Dazwischen der Drehknopf für die Verstellung der Bremsbalance. Die Seriennähe ist am ehesten noch durch den Steller für die elektrischen Außenspiegel und die optionale Klimaanlage dokumentiert, sonst herrscht im Innenraum voll die Rennsport-Atmosphäre.
Also Hauptschalter gedrückt, Zündung ein und Startknopf. Der 4-Liter V8 erwacht mit einem Brüllen zum Leben, rechts an der Schaltwippe zupfen und der 1. Gang des sequentiellen Renngetriebes ist mit einem satten Klacken eingelegt. Zum Wegfahren braucht es die Kupplung, die aber vom Druckpunkt her gut dosierbar ist. Mit 60 km/h geht es durch die Boxengasse, Pit-Limiter aus und schon ist der MB AMG GT4 auf der Wildbahn in seinem Element. Der Motor besticht durch sein Drehmoment und nie hat man das Gefühl, über zu wenig Leistung zu verfügen. Wieviel es tatsächlich ist, hängt von der BoP der Rennserie ab, aktuell gibt Mercedes-Benz dafür 510 PS an. Der über zwei Turbos aufgeladene Motor verfügt über 600 Nm, bei rund 1.300 Kilo ergibt das schon ansprechende Fahrleistungen für den Einstiegs-GT-Renner, wenn auch die Rundenzeiten doch deutlich über denen eines GT3 liegen.
Die Strecke von Portimao hat alles zu bieten, von Bergauf-Bergab Passagen, über Haarnadeln und schnelle Kurven, perfekt um dem Mercedes auf den Zahn zu fühlen. Die Start/Ziel-Gerade saugt der MB AMG GT4 unter sich weg, scheinbar mühelos geht es in den sechsten Gang auf knapp über 250 km/h. Am ersten Bremspunkt zeigt sich die erste Stärke des Autos. Die Rennbremsanlage beißt gnadenlos zu und das ABS tut ein Übriges, freilich nimmt man die elektronische Hilfe mit zunehmender Fahrzeit zurück, die Bremsleistung wird dadurch aber noch besser. Wie gut die Bremse ist merkt man speziell in den Bergab-Passagen der Strecke. Ungewohnt ist freilich die lange Schnauze, die sich über das als Frontmittelmotor eingebaute Aggregat gefühlt unendlich erstreckt. Eine etwas höhere Sitzposition verbessert in der Folge zwar die Übersicht, dennoch ist diese gewöhnungsbedürftig und speziell in Rechtskurven ist es anfangs schwer, den Scheitelpunkt zu treffen. Das Fahrzeugkonzept bringt auch mit sich, dass der MB AMG GT4 in langsamen Kurven etwas zum Untersteuern neigt und so auch einen erzieherischen Wert hat: Zu früh gebremst heißt Runde versaut, denn vor dem Scheitelpunkt wieder aufs Gas zu gehen, wird gnadenlos bestraft.
Im Rennbetrieb wird hier aber sicher noch durch die in Zug- und Druckstufe einstellbaren Dämpfer an der Optimierung gearbeitet werden. Am Kurvenausgang der Spitzkehren kann man aber problemlos voll durchtreten, denn selbst bei ausgeschalteter Traktionskontrolle bleibt das Heck gut kontrollierbar. Und auch hier bietet Mercedes noch eine Optimierungsmöglichkeit, durch das von außen verstellbare Differenzial. In den schnellen Ecken ist der AMG GT4 in seinem Element: schön neutral ausbalanciert kann man die „Kuh“ gut fliegen lassen. Die Doppelquerlenkerachsen sorgen für einen perfekten Kontakt zum Asphalt und das Fahrwerk steckt Wellen oder ein Räubern über die Curbs gut weg. Das Getriebe lässt sich über die Schaltwippen präzise und schnell betätigen und beim Verzögern kann die Motorbremse so gut mitgenützt werden. Das Renngetriebe ist sicher ein entscheidender Vorteil gegenüber älteren GT4 Fahrzeugen, die hier noch mehr Serientechnik zum Einsatz bringen.
Hat man sich an die Sicht und das Untersteuern gewöhnt wird der MB AMG GT4 zur echten Spaßmaschine, die einen guten Kompromiss aus Einstiegsmodell für Neueinsteiger und echtem Rennboliden darstellt. In jedem Fall sollte man mit dem Mercedes-Benz AMG GT4 über ein Fahrzeug verfügen, mit dem man um den Sieg mitkämpfen kann, sofern die BoP das nicht verhindert. Die Kosten von 198.850,- Euro zuzüglich Mehrwertsteuer sind zwar auch nicht ganz preiswert, im Vergleich zu einem GT3 aber schon fast geschenkt.